Von den Cottischen Alpen in die Seealpen

Für alle, die es interessiert, mal wieder ein paar Zahlen (mich selber interessiert das mittlerweile nicht mehr besonders ;)):


Strecke: 1.795 km

Aufstieg: 94.300 hm

Abstieg: 92.500 hm

101 Gehtage

555 Stunden reine Gehzeit 

15 Ruhetage

2 Regenwandertage


In den letzten Tagen gesellt sich nun auch wieder mein treuer Begleiter hinzu, der mir von Anfang an das Wandern erschwert und an den ich mich wohl nie gewöhnen werde: die Hitze! Die Sonne brennt vom Himmel. Auch wenn es schon fast September ist, ist sie hier im Süden doch noch ganz schön intensiv. Morgens geht es meistens noch, doch dann erschwert sie jeden sonst noch so gemütlichen Abschnitt. Auch wenn ich bis jetzt schon viel in der Hitze gewandert bin, gewöhne ich mich einfach nicht daran. Obwohl ich genug trinke, bekomme ich irgendwann Kopfschmerzen und muss raus aus der Sonne. Umso mehr begeistert mich der Wetterbericht für die nächsten Tage. Nicht nur in Deutschland, sondern auch hier, soll es einen Temperatursturz geben!


Da ich nun schon die Seealpen erreicht habe, stellt sich nun seit langem mal wieder die Frage nach dem weiteren Weg. Und vor allem auch nach dem Ziel. Wo will ich ankommen und wann? Dass es das Mittelmeer sein muss, steht fest. Was gibt es für ein besseres Ziel, als das Meer, will man den ganzen Alpenbogen ablaufen. Doch soll es Nizza, Monaco oder Ventimiglia sein? Ich habe den GTA nun schon seit längerem ins Herz geschlossen und bin, wie viele andere auch, fasziniert von diesem Weg. Dieses einsame Wandern durch sehr eindrucksvolles Gelände und dazu super Essen ist schon einmalig! Deshalb steht schon seit längerem für mich fest, dass ich den GTA zu Ende gehen möchte. Falls das Wetter passt, ich früh genug dran und natürlich auch noch fit genug dazu bin. Und das alles trifft nun zu. Ich bin nun so nahe an Frankreich, mein Handy ist schon fest davon überzeugt, dass ich dort bin und schlägt mir nur noch französisches Netz vor, dass es leicht wäre, nach Frankreich zu wechseln und schnurstracks nach Süden nach Nizza zu wandern. Dort wäre ich in einer guten Woche. Doch die französischen Alpen sind voller, als die italienischen. Außerdem ist Nizza bestimmt nicht mehr das richtige Ziel für mich. Schon wenn ich daran denke, überfordert mich die große Stadt. Ich brauche etwas kleineres. Auf den Rat von Mitwanderern und Hüttenwirten wird es nun Ventimiglia. Das bedeutet erst einmal einen Richtungswechsel. Ich gehe nun in die einzige Richtung, die ich bisher ausgelassen habe: Osten! Immer an der französischen Grenze entlang, tagsüber auch mal in Frankreich, bis zu den ligurischen Alpen, von wo aus es dann endgültig nach Süden bis ans Meer gehen soll. Das wird noch etwa zwei Wochen dauern. 


Der August neigt sich nun dem Ende zu und es wird langsam Herbst. Das merkt man zum einen an der Herbstzeitlose, die so manche Wiesen schmückt, und an den immer bunter werdenden Blätter der Bäume. Zum anderen ist die Zeit um den Ferragosto vorbei. Der 15. August ist der wichtigste Feiertag der Italiener und rund um diesen Tag herum ist fast ganz Italien unterwegs. In dieser Zeit sind auch die Berge vor den Italienern nicht sicher. Nun geht aber auch die Ferienzeit zu Ende und Tagesausflügler verirren sich immer weniger in die Berge. Selbst auf dem GTA wird es ruhiger. Wobei es nie besonders voll war und maximal 18 Wanderer in einer Unterkunft waren. Für österreichische Verhältnisse wären das fast leere Hütten.

Die letzten beiden Tage bin ich nun wieder alleine unterwegs. GTAler gibt es keine mehr. Die letzten beiden, mit denen ich ein paar Tage gewandert bin, sind gestern Vormittag nach Hause gefahren. Einsame und verlassene Wege, wie ich es ganz zu Beginn meiner Reise und in Italien auch mal zwischendurch hatte, prägen den Weg. Gestern morgen bin ich in die westlichen Seealpen eingetaucht. Die Cottischen Alpen liegen hinter mir. Pässe mit toller Aussicht und zwei atemberaubende Hochtäler liegen hinter mir. Ganz alleine kann ich diese Schönheit genießen. Außer mir war an diesem Tag wohl niemand mehr hier. Die Landschaft wird nun noch trockener, manch eine Hochebene ähnelt mehr einer Steppe. Grünes Gras gibt es nicht mehr. Die Berge werden schroffer und zackiger. 

Ganz alleine bin ich doch nicht ganz. Adler kreisen fast täglich über mir. Oft mehrere und mehrmals. Murmeltiere und Steinböcke zeigen sich wieder vermehrt. 

Und gibt es irgendwo einen Parkplatz, so ist sogar der eine oder andere Italiener im Umkreis von einer Stunde Gehzeit anzutreffen. Viel weiter scheinen die meisten Italiener nicht zu kommen, wie es mir oft vorkommt. Doch auch diese nehmen stark ab. 


Die letzten Tage sind auch von starker Religiosität geprägt. Mehr als zuvor säumen Kirchen, Kapellen und Säulen mit christlichen Motiven, wobei ich selber nicht richtig weiß, was es ist, den Wegesrand auf dem Weg ins Sturatal. Die tollsten Gemälde und Fresken in wunderschönen Erdfarben schmücken die Wände der vielen Kirchen aus dem 15. bis 17. Jahrhundert. Ganz besonders eindrucksvoll ist die Allamandi-Kapelle im Santuario San Magno. In diesem Kloster findet der nächste Pausetag statt. Zwar eher gezwungen, da das Posto Tappa im nächsten Ort Sambuco voll ist, aber mir tut er sehr gut. Geschlafen wird im einzigen Gebäude, das es gibt: der Kirche. Außen um die eigentliche Kirche herum, befinden sich einfache Schlafräume. Kurz nach der Ankunft schallt das Rosenkranzgebet über die gesamte Anlage. Über Lautsprecher wird es übertragen. Nach einer geschlagen Stunde nimmt das monotone, ich muss schon fast sagen Geleiere, das mich in den Mittagschlaf hineinleitet, ein Ende. Zum Glück gibt es morgens nicht noch mal ein über das ganze Gelände schallendes Morgengebet. Es ist Sonntag und der Parkplatz vor dem Kloster füllt sich. Viele Italiener kommen zum Wandern, Radfahren und in die Kirche. Diese ist während dem Vormittagsgottesdienst gerappelt voll. Macht ja nichts, wieder dröhnt in voller Lautstärke die Stimme des Priesters über das gesamte Gelände. So wie auch zum Mittagsgebet und danach zum Rosenkranz. Verpassen kann man nichts. Obwohl viele Leute da sind, ist es ruhig. Kein Schreien, kein Zanken, kein ständiges Ermahnen der Eltern gegenüber ihren Kindern. Die meisten sitzen im Schatten und picknicken. 


Der nächste Abschnitt führt über eine schöne Hochebene und eine enge Schlucht nach Sambuco. Und hier tobt der Bär. Hier ist gerade irgendein Fest. Kein Wunder, dass wir gestern kein Bett mehr bekommen haben. Im Gegensatz zum Kloster ist es laut. Auf dem Platz vor dem Rathaus findet ein Kinderprogramm statt. Die Kinder rennen laut lärmend durcheinander. Im Hotel führt man mich ins Posto Tappa. Allerdings nicht so herzlich und freundlich, wie ich es von den abgeschiedenen kleinen Orten gewohnt bin, sondern eher distanziert und förmlich. Das ist nun eben ein Hotel. Doch wohl fühle ich mich hier nicht. Das bessert sich auch nicht mit einem Blick ins Posto Tappa: eine sehr moderne, picobello aufgeräumte und geputzte, bis aufs letzte Detail durchdachte Ferienwohnung. In anderen Urlauben wäre ich davon begeistert gewesen. Ich stehe da und betrachte die großen mit Sonnenlicht durchfluteten Räume. Modern und stilvoll. Und will nur weg. Ich passe, stinkend und schmutzig wie ich bin, nicht hier her. Wie viel lieber hätte ich ein knarzendendes rotes Stockbett, das hin und her wippt, auf dem man das Gefühl hat, auf einem schwankenden Schiff zu sein und das sich anfühlt, als ob es irgendwann zusammen kracht. So wie ein paar Tage zuvor, wo wir im Rathaus übernachten durften. Das Rathaus ist die ganze Zeit geöffnet und oben in einem Raum sind vier Stockbetten für Wanderer bereit gestellt. Gegessen wird in der Trattoria, wo wir mit bestem Essen verwöhnt werden. Die Atmosphäre ist familiär. Es ist alles einfach, doch die Menschen sind glücklich und unglaublich freundlich und hilfsbereit. So gefällt es mir. In Sambuco ist alles anders. Zum Abendessen sind alles Gäste in einem Raum zusammengepfercht. Es ist stickig und laut. Am liebsten würde ich gleich wieder gehen. Doch der Hunger ist größer. Wie nicht anders zu erwarten, gibt es Hotelkost. Geschmackloses Essen! Nicht mal die Spaghetti mit Tomatensauce sind gut. Das Gemüse schmeckt nach nichts. Vielleicht bin ich aber auch nur mit frischem Obst und Gemüse aus dem Garten oder aus der Nähe, reif gepflückt, verwöhnt.


Umso mehr genieße ich es auf dem Rifugio Migliorero, laut Wanderführer eine der schönsten Hütten der Alpen. Auf die Lage mag das zutreffen. Sie liegt wunderschön auf einem kleinen Hügel von zwei Seen umgeben. Von innen ist sie aber eine große CAI Hütte, wie jede andere. Vielleicht sogar eher älter und schmuddeliger. 

Heute bin ich nun wieder in einem Kloster. Dieses Mal im Santuario Sant Anna, dem höchst gelegenen Kloster Europas auf 2035m.