Eine Woche bergfrei

Zuerst einmal eine kleine Info an alle verwunderten Leser: Ich schreibe immer noch unter der ersten Rubrik 'Von Wien in die Dolomiten', weil ich es mit meinem Smartphone einfach nicht hinbekomme, meine Artikel woanders zu veröffentlichen. Die Möglichkeiten, die diese App liefert, sind doch sehr beschränkt. Am Computer ist einiges mehr möglich! 

Ich bin natürlich lange nicht mehr in den Dolomiten, ja sogar in einer Woche schon auf dem GTA und somit in den Westalpen. Das Löschen der beiden Abschnitte ' Von den Dolomiten in die Westalpen' und 'Von den Westalpen ans Mittelmeer' und das Umbenennen des ersten Abschnitts hat wohl nur auf meinem Smartphone gut funktioniert. Davon auf jeden Fall nicht durcheinander bringen lassen! 


So nun aber zum interessanteren Teil: 

Die weitere Tourenplanung gestaltet sich nun etwas schwierig. Im Norden des Tals Valtellina gibt es zwar einen Fernwanderweg, dieser ist allerdings mit Gletscherquerungen zu anspruchsvoll für mich. Im Süden gibt es keine Hütten, die geschickt verbunden werden können. Also geht es erst einmal zwei Tage durch das Tal Valtellina. Auch keine so schlechte Wahl, wie sich herausstellt. 

Der Sentiero Valtellina ist ein Wander-, viel mehr eher ein Radweg, der Bormio mit dem Comer See verbindet. Er ist fast durchgehend geteert. Komischerweise macht mir das nicht mehr so viel aus! Nur die Blicke nach oben, auf schroffe Berge, Schneefelder und der Gedanke, was für tolle Blicke man dort oben haben muss, erwecken Sehnsucht. 


Wie ich hier so durch das Tal marschiere, merke ich immer mehr, dass ich eigentlich viel zu schnell unterwegs bin. Dieses Gefühl habe ich schon seit ein paar Tagen und es verstärkt sich immer mehr. Ich renne ja fast durch Täler und Höhenwege. So viele schöne Ecken muss ich links liegen lassen. Natürlich lerne ich auch auf meinem Weg tolle Plätze kennen! Doch je länger ich gehe, desto mehr lerne ich kennen und desto mehr Wünsche kommen auf, was für tolle Sachen ich hier noch machen könnte. Es ist verrückt! Eigentlich erfülle ich mir hier einen tollen Traum! Und dann gehe ich hier entlang und denke nur darüber nach, wie es wohl wäre, mit dem Berninaexpress zu fahren, auf diesem oder jenem Gipfel zu stehen, die Burgen und Wasserfälle zu besichtigen, usw... Natürlich könnte ich auch hier bleiben und zwei, drei Wochen die Gegend erkunden und all die schönen Plätze besuchen, an denen ich nur vorbei gehe. Aber ist das mein Ziel? Nein! Ich will doch bis ans Mittelmeer kommen! Natürlich kann ich den ein oder anderen Abstecher machen. Aber ich sollte mich nicht komplett davon ablenken lassen und das Ziel aus den Augen verlieren! Ich muss das genießen, was ich hier mache! Nicht immer daran denken, was ich sonst noch machen könnte. Irgendwann wieder kommen, kann ich ja auf jeden Fall!


Der Sentiero Valtellina ist ein sehr gut beschildeter und ausgebauter Weg. Alle zwei bis drei Kilometer ist eine Raststation mit Bänken, Grill und Trinkwasser eingerichtet. Teilweise ist sie sogar mit einem kleinen Trimmdichpfad oder Spielplatz ausgestattet. Jeden Kilometer ist ein Schild am Wegesrand angebracht, das angibt, wie viele Kilometer es noch bis zum Comer See sind. Als Radfahrer mag das gut sein. Doch wandert man in der Mittagshitze hier entlang, demonstriert das nur, wie langsam man vorankommt. Der Menge an Schweiß und Anstrengung nach zu urteilen, kommt es mir vor, als müsste ich mindestens doppelt so schnell unterwegs sein.


Einen großen Unterschied zum Vinschgau gibt es hier. Weitaus weniger Touristen sind unterwegs, freie Unterkünfte gibt es genug und sogar Hotelzimmer bekomme ich für 25 Euro pro Nacht. Wobei das Frühstück hier natürlich nicht besonders reichhaltig ist. Wie ich ein gescheites Frühstück vermisse...

Meine Unterkünfte entlang des Valtellinas liegen immer etwa 200m über dem Tal mit fantastischen Ausblicken. Jeden Tag wird es gegen Mittag unerträglich heiß. Spätestens am Abend gewittert es. Ein Gewitter war besonders beeindruckend. Erst noch am Berg, war es blitzschnell über mir. Mindestens alle 20 Sekunden ein Blitz und fast gleichzeitig Donner. Dazu heftigster Regen und Hagel. Ein sehr beeindruckendes Schauspiel, sitzt man im Drockenen! 


Nach zwei Tagen im Valtellina war eigentlich der Plan, wieder in die Berge zurückzukehren. Doch mittlerweile ist das Wetter sehr instabil. Den ganzen Tag sind Gewitter angesagt. Also weiter auf dem Sentiero Valtellina. 35 km noch bis zum Comer See. Ich finde im Internet ein nettes Hostel. Hochmotiviert starte ich früh mit dem langen Marsch. Alle zehn Minuten ein Schild: noch 35 km, noch 34 km, noch 33 km,... Langsam geht es vorwärts. Immer gerade aus! Nach drei Stunden erreiche ich Kilometer Nummer 15. 20 habe ich also schon geschafft! Der Weg führt mich weiter über eine Brücke. Das Tal wird immer schmaler. Eine Kurve und ich stehe an einer Straße. Einer Hauptstraße! Die Autos rasen mit über 100 kmh an mir vorbei. Das Schild des Sentiero Valtellina zeigt in Richtung Straße! Ich schaue nach. Nach fast 70 km schönen wanderfreundlichen Wegen soll es jetzt wirklich auf die Straße gehen? Tatsächlich! Und das für etwa vier Kilometer! Nicht mit mir! Italiener haben ja bekanntlich nicht den besten Fahrstil! Ich drehe um! Wieder zurück. Plötzlich fühlt sich jeder Kilometer doppelt so lang an wie vorher! Nach vier Kilometer bin ich am Bahnhof. Ich überlege: wie weit soll ich fahren? Bis der Weg wieder für Fußgänger geeignet ist, oder bis zum See? Die hohe  Motivation von heute morgen ist mit dem Umdrehen schlagartig verflogen. Mit Eintreffen des Zuges beantwortet sich die Frage von ganz allein. Ein heftiges Gewitter geht schon um 11:30 Uhr morgens los. Gut, dass ich nicht in den Bergen bin! Ich steige direkt am See aus dem Zug aus. Schnell in den nächsten Laden zum unterstellen! 


Die nächsten Stunden verbringe ich mit am See entlang laufen und schwimmen. Mittlerweile hat es durch das Gewitter etwas abgekühlt! Es ist sehr angenehm! Diese schwüle Hitze ist schon sehr anstrengend! 


Am nächsten Tag möchte ich bis nach Menaggio am See entlang wandern. Also mache ich mich wieder auf dem Weg. Doch was ist das! Schon wieder soll es Kilometer lang an der Straße entlang gehen! Die Straße ist extrem schmal und die Autofahrer sind wieder sehr rücksichtslos! Mittlerweile ärgere ich mich darüber, was meine App von Kompass mir alles als Wanderweg verkauft! Und dabei sind sie doch eigentlich Spezialisten für Wanderkarten! Ok, dann mache ich eben heute meinen Ruhetag und gehe morgen wandern. Mit dem Schiff geht es gemütlich über den See. Es ist schon sehr schön hier! Die Gipfel, die über 2000m über dem See empor ragen, die kleinen bunten Städtchen und Dörfer die an den steilen Hängen gebaut wurden und vor allem ist es nicht überlaufen! Natürlich sind Touristen da, schließlich hat die Hauptsaison begonnen. Aber es ist noch sehr angenehm! 


Im Hostel in Menaggio bin ich plötzlich unter lauter Backpackern. Die kommen aus der ganzen Welt! Allein in meinem Zimmer sind Frauen aus Großbrittanien, Frankreich, Florida, Australien und Indien! Das ist sehr spannend. Vor allem bin ich endlich mal wieder unter Leuten, die auch englisch und nicht nur italienisch sprechen. Ich fühle mich hier sofort sehr wohl! Die letzten Tage waren in dieser Hinsicht schon etwas einsam. Über jede Nachricht, sei es eine Email oder Whatsapp habe ich mich total gefreut. So habe ich meine Erlebnisse wenigstens ein bisschen teilen können. Hier ist es ganz anders. Ich habe immer jemanden zum reden, Tischtennis spielen oder schwimmen gehen.


Der nächste Tag war eigentlich als Badetag eingeplant. Doch den habe ich ja schon am Tag zuvor gemacht. Nach so vielen Tagen im Tal, ohne in die Berge zu können, lockt mich geradezu ein Gipfel. Bergfrei ist zwischendurch zwar ganz angenehm, aber die Sehnsucht nach Gipfeln, schroffen Felsen und schönen Blicken steigt! Den Monte Grona, 1500m über dem See, möchte ich besteigen. Das erste kurze Stück nehme ich wieder den Bus. Auf der Straße laufen ist tabu. Dadurch wird die Tagestour auch nicht zu lang. Von der Bushaltestelle sind 3 1/4 Stunden zum Gipfel angeschrieben. Ich steige aus. Mit mir wollen noch sechs andere den Berg hinauf. Schon nach kurzer Zeit werde ich von allen überholt. Laut keuchend schnaufen sie an mir vorbei. Ich dagegen gehe gleichmäßig und langsamer, langsam wäre falsch, schließlich bin ich nach 1 3/4 h oben. Nicht viel später überhole ich wieder einen nach dem anderen, wie sie ständig stehen bleiben müssen, um zu verschnaufen. 1000 hm bei über 34 Grad darf man eben nicht unterschätzen! 

Endlich bin ich wieder auf schmalen Pfaden und Felsen unterwegs! Gut fühlt sich das an! Das hat mir die ganzen letzten Tage dann doch sehr gefehlt. Leider ist der Gipfel wolkenverhangen und die Sicht nach unten wird nur selten frei. Aber dann für kurze Zeit ist der Blick auf den Comer See oder den Luganer See frei. Nur für einen kurzen Augenblick, aber immerhin! Fast eine Stunde bleibe ich hier sitzen. Eine Mutter mit zwei Kindern aus Braunschweig ist ebenfalls hier. Lange sitzen wir hier, unterhalten uns und warten darauf, dass die Wolken aufreißen. Beim Abstieg begegne ich dann meinen Mitaufsteigern aus dem Bus, wie sie mühsam die letzten Meter empor steigen. 

An der Bushaltestelle halten plötzlich die Braunschweiger an und nehmen mich mit, damit ich nicht 1 1/2 Stunden auf den Bus warten muss. Sehr lieb von ihnen! Und dann, ach du Schreck, fällt mir nach 15 min auf, wir waren schon unten in Menaggio, dass ich meine Stöcke vergessen habe! Die lehnen gerade mutterseelenallein an der Bushaltestelle. Was nun? 'Kein Problem!', sagt die Mutter am Steuer, dreht um und fährt zurück! Das ist wirklich total nett von ihr gewesen! Die Zeit im Auto vergeht wie im Flug! Die beiden Teenager und die Mutter sind wirklich super Gesprächspartner! 


Um Geld zu sparen und weil es im Tal genug Geschäfte gibt, verpflege ich mich im Tal selbst. Doch ich lasse mich zu sehr von den ungesunden Lebensmitteln verleiten. Vor allem das viele Weißbrot und die Tatsache, dass ich gechlortes Wasser nicht ausstehen kann und deshalb viel zu wenig trinke, machen mir nun gehörig zu schaffen! Verdauungsprobleme, wie ich sie noch nie hatte, Bauchschmerzen und allgemeine Abgeschlagenheit verlängern meinen Aufenthalt am Comer See. Ist auch ein schöner Ort, um länger zu bleiben! In Zukunft muss ich dringend darauf achten, gesünder zu essen und vor allem genug zu trinken. Das brauch ich nicht noch einmal!